Donnerstag, 19. Mai 2011

Institut für Hybridforschung: Furry Species

Werwölfe sind die besseren Menschen

Nichts anderes als die Rettung der Menschheit hat sich das Institut für Hybridforschung auf die Fahne geschrieben. Die Alleinunterhalterin Corinna Korth führt die Zuschauer in die Welt der Tier-Mensch-Forschung ein. Ein Gebiet, in dem sich wahrscheinlich die Wenigsten von uns auskennen. Als besuchten wir einen Vortrag, begrüsst und die ernste Referentin herzlich, freut sich über das zahlreiche Erscheinen der Interessierten und der Vertreter der „Furry Community“. Tatsächlich findet sich im Publikum ein riesiger blauer Plüschwolf, der sich für den neusten Stand der Forschung zu interessieren scheint (oder zumindest für die nachfolgende Hybridparty).

Das Publikum lässt sich in eine witzig gestaltete Präsentation über die Bemühungen des „Instituts“ entführen. Nebst Korth gehören diesem unter anderem ihr, einem Hund sehr ähnlich sehender, Partner, sowie ein gewisser Dr. Dr. Hohl und eine weitere Mitarbeiterin an. Offensichtlich um Humor bemüht, folgen wir fadenscheinigen wissenschaftlichen Erkenntnissen und Möglichkeiten der genetischen und operativen Tierwerdung. Die Überlegenheit der tierischen Sinne und die phantastischen Möglichkeiten, die sich der Menschheit eröffnen, seien das Heil für den Planeten und die Rettung der Menschheit in einer neuen Form, erklärt Korth. Sässe man nicht im Theater, würde man sich in den Fängen einer obskuren Sekte wähnen.

Hybrid statt Hybris! Natur statt Technik! Und ähnliches skandiert Korth in ihrem Sololauf und zeigt gleich an sich selbst ihre Bemühungen zur operativen Transformation zum Wolfsmenschen. Videos zeigen Korth beim Schönheitschirurgen, der ihr den neuen Wolfs-Look verpassen soll, technisch alles ohne Probleme möglich. In einer Live-OP wird der Institutsleiterin schliesslich ein Wolfsschwanz angenäht. Dr. Dr. Hohl und eine Assistentin operieren mit Nadel und Faden und (weit spritzendem) Theaterblut.

Die Mittel, deren sich das Hamburger „Institut“ bedient, um das Lachen des Publikums zu provozieren, wirken etwas unausgegoren. Es baut sich über die Länge des Stücks langsam eine gewisse Ungeduld auf: Irgendetwas Einschneidendes, Spektakuläres müsste noch passieren. Nach der erfolgreichen Blutspritzer-OP muss dann aber nur noch David Bowie herhalten, wenn Korth und Partner mit psychedelischer Beamer-Unterstützung „We can be wolfes“ (statt heroes) ins Finale heulen.


Aufführung vom 11.5.2011 in der Gessnerallee Zürich

Dienstag, 17. Mai 2011

mariamagdalena & Gäste: BIS DASS DER TOD UNS SCHEIDET- Eine polnische Hochzeitsfeier

Das Theater ist ein Fest
Polnische Traditionen gegen Theaterbräuche

...ich schreibe ja nicht oft über einen Abend, an den ich mich kaum erinnern kann. Ich weiss, dass es schön war! Mein Kopf fühlt sich an, wie wenn ich ordentlich gefeiert habe, meine Strümpfe sind zerrissen und das sind sie nur, nach überaus rauschenden Partys.... Doch nach ein paar Klängen melancholischer Musik mit polnischen Texten ( http://www.youtube.com/watch?v=I9r2s8C9T1Y ) kommen nach und nach die verlorenen Bilder und Erlebnisse von Gestern zurück:

Stellen Sie sich vor, Sie könnten ins Theater gehen, um wieder einmal auf einer Hochzeit zu tanzen: mariamagdalena hat gestern Abend genau das möglich gemacht und die Theaterbesucher zu ihrer Hochzeit eingeladen:
Der Theatersaal ist der Festsaal mit langen Festbänken, wo die Gäste platznehmen dürfen. Prominent in der Mitte der Tafel am oberen Ende des Saals sitzt bereits das Hochzeitspärchen. Der erste Wodka-Shot und die Essiggurken sind serviert. "Wir haben es geschafft", begrüsst der Brautführer die erwartungsvolle Runde, "der spirituelle, christliche Teil des Tages liegt hinter uns, jetzt sind wir hier zusammengekommen, um das Wässerchen zu feiern". Die Gäste werden aufgefordert, sich zu erheben und nach dem traditionellen Lied gemeinsam den Wodka zu kippen. Darauf folgen weitere höchsttraditionelle Hochzeitsbräuche, wie die Schnief-Rede des Brautvaters, der seine künstlichen Schniefer und Lacher wohl auf dem Spickzettel notiert hat. Rund um den mit romantischen Motiven reich gespickten Eröffnungstanz des Brautpaars herum bilden die Zuschauer den traditionellen Doppelkreis und wärmen sich damit für ein Theaterabend auf, an dem sie mehr Akteure sind als Zuschauer.
Und schon geht's weiter mit Disco Polo! Die Musik dazu legt "Marek unser wunderbares DJ" auf, den wir alle noch aus der Dorfdisco kennen. Die meisten Zuschauer sind begeistert dabei, sie wissen um was es geht im Theater: Eine Rolle annehmen, die die Situation gerade abverlangt. So tanzen und klatschen sie mit, als wären sie schon immer polnisch gewesen. Der Wodka und die Anweisungen zum unbefangenen Tanzen geben der nach wenigen Minuten hergestellten gehobenen Stimmung den Rest zur Ausgelassenheit. Das Publikum, das eben noch als Zuschauer vor dem Theatersaal stand, scheint seine gebräuchliche Theaterfunktion in Kürze abgelegt zu haben. Ohne Zögern meldet es sich als Freiwillige für die Gesellschaftsspiele, sucht mitfühlend den verlorenen Ehering, hört geduldig zu, als die Braut unterm Tisch liegend etliche Briefe vorliest von Leuten die nicht kommen konnten und zeigen sich, als der Bräutigam vor seinem Versprechen an die Braut endlos seine Vortrags-Karten ordnet, als verständnisvolle Angehörige.
Wer Glück hat, ergattert einen Tanz mit der Braut oder bekommt für das überreichte Geschenk einen Kuss vom Bräutigam. mariamagdalena und ihre Mitveranstalter der Hochzeit beschenken die Zuschauer und zum grössten Teil eigentlichen Nicht-Polen mit einem grandiosen Fest, zu dem sie sonst unter Umständen niemals eingeladen worden wären. Im Gegenzug bereichern die Gäste die Inszenierung mit ihrer Begeisterung am mitspielen. Ein so ausgelassenes und verschwitztes Publikum ist selten im Theater und wurde von vielen kaum zuvor erlebt. Weil die Zuschauer, durch die geschickte Inszenierung ganz zu Hochzeitsgästen mutieren, verliert das Theater seine letzten erkennbaren Strukturen und wird für die Dauer der Inszenierung ganz zur Hochzeitsfeier. Auf mariamagdalenas Hochzeit kann man nicht mehr einer inszenierte Realität zuschauen, sondern sich selbst in einer inszenierten Realität erleben.


Christina


Aufführung vom 14.05.2011 im Theaterhaus Gessnerallee Zürich

Freitag, 13. Mai 2011

Chuck Morris: souvereines

Im Doppel souverän

Die Königin werde uns bald in Empfang nehmen. Dazu einige Verhaltensanweisungen: Der Königin sei nicht der Rücken zuzuwenden, weiss gekleidete mögen links, dunkel gekleidete rechts Platz nehmen. Man solle sich selbst sein, „denn nur Sie können sich selbst sein.“

Die Anweisungen, dem in der Bar verstreuten, nicht gerade konzentrierten Publikum zum Auftakt vor dem Einlass mitgeteilt, irritieren einigermassen. Jedoch zu wenig, um über das Gesagte weiter nachzudenken. Man betritt schliesslich den Raum und hält sich verständlicherweise nicht an die Farbtrennung, noch sieht man eine Möglichkeit, der Bühne den Rücken zu kehren.

Die beiden Darstellerinnen weisen der „Kommenden Königin“ auf einer spartanischen Bühne abwechselnd Attribute zu, scheinbar willkürlich, scheinbar schlecht eingeübt, scheinbar schizophren, wenn sie als „besonnen“ und „aufbrausend“ zugleich betitelt wird. Die Audienz der Königin im Doppelpack wird zum Schwamm, zur Projektionsfläche unserer Wünsche und Bedürfnisse. Eine Allerweltskönigin präsentiert sich uns: Souverän von Ghana über Dänemark zu Russland, offensichtlich kriegstraumatisiert und nur der Liebe des Volkes verpflichtet.

Die Königin fungiert im Doppel. Es wird synchron getanzt, von Barock bis Madonna, ein jedes Bedürfnis scheint abgedeckt werden zu wollen. Werden wir dazu aufgefordert, uns unsere eigene Monarchin zu basteln? Ein am Eingang verteiltes Protokoll gibt uns minutiös Aufklärung über den Verlauf der Audienz. Unter dem fünften Punkt, L‘ENTRÉE SOLONNELLE wird die Königin angezogen, und so kleidet sie sich in ihrer Doppelung gleich selbst. Rücken an Rücken im gemeinsamen königlich-blauen Kleid ist es die Kommende Königin, welche unfähig wird, uns den Rücken zuzuwenden. Der pluralis majestatis bekommt in Chuck Morris Werk eine unerwartete Bedeutung. Ihre Majestät tanzen beeindruckend ihr BALLET COMIQUE, den Zuschauer um Assoziationen ringend seinen Eindrücken überlassend. Bis sich die Kommende Königin schlussendlich, protokollgemäss und per Lautsprecher angekündigt, zurückzieht.

Den Rückzug ins Öffentliche, dem Motto des diesjährigen Freischwimmer-Festivals entsprechend, inszenieren Chuck Morris mit ihrer Figur, deren Schicksal inmitten politischer Impotenz und gesellschaftlicher Repräsentation par Excellence als Wunschobjekt der Massen zu liegen kommt, auf eigentümliche Weise. Dass dabei ein Grossteil der Bilder der Vorstellungskraft des Publikums überlassen wird, verstärkt zwar einerseits die erahnte Idee hinter souvereines, steigert aber andererseits die Ungeduld Seiner Kritischen Wenigkeit an den Rand eines republikanischen Instinkts.

Aufführung vom 11. 05 2011 in der Gessnerallee Zürich

Dienstag, 10. Mai 2011

Lovefuckers: KING OF THE KINGS



Gaddafi-Trash mit Gebrüll



Ganz gross feiert sich der älteste Diktator der Welt in seinem Theaterstück, das er selbst schrieb, weil noch niemand eines über ihn geschrieben hat: In der ersten Szene bekommt er von der Stadt Zürich zwei grüne Fahnen geschenkt. In der zweiten Szene kauft er sich Waffen und wickelt dann das ganze Diktatoren-Programm ab. Für alle, die sich jetzt fragen, wie das Stück wohl ist: Ein Theaterstück über Gaddafi muss schlecht sein. Es ist Trash mit viel Gebrüll und Sicherheitskräften.



Doch das schlechte Stück will den Lovefuckers (Anna Menzel und Annemie Twarda, ergänzt durch Nils Zapfe und Dennis Katzmann), die den Protagonisten, eine Gaddafi-Baby-Puppe, hätscheln, mit dem eigenen Leib schützen und sogar auf der Toilette bedienen, nicht so recht gelingen. Zu überraschend sind die phantasievollen Höhepunkte dieser grotesken Verrücktheit: Berlusconi als Stargast, aus dessen Mund Muammar fast wie mi Amor klingt und der Gaddafi anbietet sich in seinem Bauch zu verstecken. Eine in einen Vogelkäfig gesperrte Swiss-Hiking-Group (vielleicht der Bundesrat auf seiner "Schulreise"?), die Gaddafi so gern für sich singen hört, doch schlussendlich als Streubombe einsetzt, um damit die Schweiz vollständig zu eliminieren. Masslose Absurditäten à Discrétion.



Die Gaddafi-Baby-Puppe, die sich fremdgesteuert selbst-inszeniert, vermittelt ein Bild von einem Scheusal, dem man alles zutraut und davon wird auch alles Erdenkliche gezeigt: Libyens extremster Exportschlager nennt sich MC G, er ist Ideenheld, Buchautor, masochistischer Stangentänzer, Waffenfanatiker, stolzer Besitzer eines fliegenden Teppichs.... Der Puppen-Politthriller zeigt eine Ansammlung von Phantasien, Befürchtungen, Gerüchten, Fakten, Möglichem, Vermutlichem und hoffentlich zumeist keine Wirklichkeiten.
Bei der Unterscheidung von Darstellung der Wirklichkeit und frei Erfundenem gewährt dieses Stück keinen Durchblick. So schreit selbst Gaddafi, als der neuste Witz über ihn erzählt wird, "das kann so nicht gewesen sein!".



Die Gaddafi-Baby-Puppe verkörpert, unabsichtlich aber mühevoll eine globale Witzfigur. Sie ist Projektionsfläche für jegliche Charakterlosigkeit von Unflätigkeit bis zum Verbrechen. Ein Hirngespinst in den Köpfen der Menschen oder ein Produkt der Medien und der Selbstdarstellung.



Dieses Puppenspiel ist eine gelungene schwarze Komödie. Schon immer wurden über Schreckliches Witze gerissen und sie sind oft gar nicht schlecht. Hier können wir uns in einem von der Wirklichkeit abgekapselten Puppen-Libyen, in das wir vom libyschen Reiseführer und Schönredner geführt werden, über eine Figur erheitern, deren reelles Pendant momentan überhaupt nicht zum Lachen ist.





Christina









Aufführung vom 07.05.2011 im Theaterhaus Gessnerallee Zürich

Montag, 9. Mai 2011

Billinger & Schulz: ROMANTIC AFTERNOON*






Zum Küssen braucht es zwei
oder auch nicht, man kann auch in die Luft küssen und sich dabei zuschauen. Küssen sich zwei in der Öffentlichkeit, wird oft weggeschaut. Theater erzeugt Situationen, in denen hingeschaut wird. Man nehme also Küsse und Theater und schon schaut hin, auch wer sonst wegschaut.




Küssen Sie kreativ?
Romantic Afternoon* wird Sie auf neue Ideen bringen. Jung Yun Bae, Ludvig Daae, Tümay Kilinçel, Robert Redmer, Juli Reinartz und Uri Turkenich zeigen angeleitet von Verena Billinger und Sebastian Schulz durchchoreographierte Kussakrobatik vom Feinsten.




Sommernachtstraum ohne Shakespeare und Zauberblume
Sechs ineinandergeschlungene küssende Menschen rollen als Knutsch-Knäuel über die Bühne. Jeder küsst jeden. Man findet sich, küsst sich und wird durch Schultertippen von jemandem abgelöst. Küsse austauschen, Partner austauschen, doch ganz ohne Eifersucht und Verwirrungen. Wenn etwas verwirrt ist, dann eine substituierte Kuss-Norm: nur zu zweit, meistens immer denselben und zum Zeichen der Auserwählung unter anderen.




Geräusch ist Kulisse
Die beim Küssen erzeugten Geräusche sind lange die einzige Umrahmung der Kuss-Performance. Erwartungsvolles Atmen, leises Schmatzen und das Quietschen der Gummisohlen auf dem Boden. Erst in dem Moment, als die Performer die Lippen des anderen verlassen und beginnen den ganzen Körper mit Küssen zu bedecken, verdunkelt das Licht und Purcells Dido darf ihr uraltes Leid einer unglücklichen Liebe klagen. Doch nach einem der ersten "Remember me" — gedenkt auch den traurigen Gesichtern der Liebe — verstummt sie schon wieder. Sie bleibt allein als musikalischer Stargast, ein einziger Kontrapunkt, zu der mit Küssen gefüllten Stille. Kussfremde Untermalung ist auch nicht weiter nötig. Bald wird das Küssen von Kniegepolter, verhaltenem Lachen, freudigen Schmatzern, Keuchen und Japsen zu Genüge ausgeschmückt.




Und? Wie fühlen Sie sich jetzt?
Wow, wie muss man sich fühlen nach so langem Küssen, die Romantic Afternoon*-Crew fühlt sich nach Tanzen. Selbstverständlich nicht ohne einige übermütige Küsse dazwischen. Das ist schön. Nur beim Küssen gibt es halt immer die Küsser und die anderen. Ein Universum entsteht, in dem nur die am Kuss Beteiligten zählen, die Zuschauer bleiben aussen vor. Niemand möchte nachdenken, während andere Küssen! Doch dazu ist man in der Zuschauer-Bühnenraumsituation nun mal bestimmt. Jedenfalls schwappen die Gefühle nicht von der Bühne in die Reihen der Zuschauer über. Küssende möchte man nicht stören, deshalb liegt Wegschauen in der Öffentlichkeit manchmal gar nicht so fern.







Christina










Aufführung vom 07.05.2011 im Theaterhaus Gessnerallee Zürich


Samstag, 7. Mai 2011

Lovefuckers: King Of The Kings

Gefährliche Puppenkiste

Rund drei Jahre ist es her, dass der libysche Machthaber Muammar Abu Minyar al-Gaddafi von afrikanischen Königen und Stammesoberhäuptern zum afrikanischen König der Könige ernannt wurde. Ein Theaterstück hatte ihm bis anhin noch keiner geschrieben. Einige diplomatischen Krisen und Kriege später haben die Berliner Puppenspieler Lovefuckers für den exzentrischen Diktator nun das fehlende Puzzleteil zu seinem Personenkult geschaffen und eine rasante Bühnensatire geschaffen, die nur noch von der tagespolitischen Bühne übertroffen wird.

Mit einer schrillen Gaddafi-Puppe veranstaltet die Gruppe rund um ein Beduinenzelt eine multimediale Bühnenshow, die ein King of Pop auf MTV nicht hätte besser bestreiten können. Postiert von Militärs, die auch als Backroundtänzer in einem Musikvideo posieren könnten, stillt der schrille Herrscher im Märchenland Libyen mit glamourösen Discoklamotten, Punk und Hip Hop seinen Darstellungs- und Spieltrieb. Und seine Langeweile. 

Doch wo es den meisten Stücken um die Auslösung von Publikumsreaktionen geht, werden wir in Kings of The Kings um unseren freie Willen gebracht. Unwillentlich werden wir zu Agenten des Gaddafi-Kultes gemacht, zu den Schläfern im System. Und solange wir brav Applaus spenden und arabische Begrüssungsformeln rufen, wird die bunte Bilderwelt von King of The Kings auch nicht mit Gewehrsalven unterbrochen.  Dabei tut Gaddafis Gefolge alles, um die Scheinwelt aufrechtzuerhalten, innerhalb der sich die wellenförmigen Launen des Dikators in rasender Geschwindigkeit ausbreiten. Etwa dann, wenn ihm die in einem Käfig eingesperrten Schweizer Vögelchen abhanden kommen oder ihm die Pointe eines Gaddafi-Witzes in den falschen Hals gerät.

Dabei scheuen sich die Lovefuckers auch nicht davor zurück, Gaddafi beim Urinieren zu filmen, uns dabei zusehen zu lassen, wie er sich von der befreundeten Berlusconipuppe den Hinter versohlen lässt oder als quengelndes Kind über die Bühne getragen wird. „Ich furze auf die Schweiz“, brüllt die Puppe hysterisch. Politisch gemeint ist diese Puppenkiste keinesfalls. King Of The Kings untersucht vielmehr den Zusammenhang zwischen Politik- und Popikone, Macht und Charisma.

Dabei erweist sich das Medium der Puppe als Satiremittel schlechthin, um die maskenhafte Mischung aus Grausamkeit und Kindlichkeit, die Gaddafis Wesenszüge ausmachen, zu veräusserlichen. Gaddafi „ent“puppt sich als verspielter und deshalb unberechenbarer Machthaber, dessen Interesse am menschlichen Spielzeug solange anhält, bis er neue Beschäftigungen findet. Nur verspielen darf man es sich mit ihm nicht.

Freitag, 6. Mai 2011

Laura Kalauz/Martin Schick: CMMN SNS PRJCT

Zum ersten, zum zweiten, zum dritten: Performance verkauft!

Das intelligente und freche CMMN SNS PRJCT (CoMMoN SeNSe PRoJeCT) von Laura Kalauz und Martin Schick, das für das Freischwimmerfestival entwickelt wurde, thematisiert alltägliche, ökonomische Kommunikations- und Beziehungsmodelle, die auf einer uns allen mehr oder weniger verinnerlichten Basis gründen, von der aus wir handeln, verhandeln, abmachen, reden, uns verständigen, diskutieren und uns einigen – auf dem, was man gemeinhin den „gesunden Menschenverstand“, „common sense“ nennt. Damit präsentieren Kalauz und Schick ein gesellschaftskritisches Stück, welches auf radikale Weise ausstellt, wie problematisch und selbstausbeuterisch diese kalkulierende Rationalität sein kann. Nicht nur zeigen sie, dass dann, wenn alles be- und verrechenbar ist, alles und jedeR zur handelbaren Ware wird, deren Wert – nach welchem Mass? – genau bemessen wird. Sondern die Art, wie sie die theatrale Situation von Zuschauern und Performern nützen, verweist auch darauf, wohin dieses Beziehungsmodell führen kann: zu zwei ungleich privilegierten Gruppen: die Gruppe der Begünstigten, hier das Publikum: nicht nur darum ist das Stück ein Hochgenuss!, und die Gruppe der nicht Begünstigten, (sich) Anbietenden, hier die Performer. Ganz in dieser Logik ist es, wenn Kalauz und Schlick auf dem Höhepunkt des Stückes auch ihr Letztes zum Verkauf hergeben: die Performance als Gesamtpaket wird versteigert und die Rechte einem Mann aus dem Publikum verkauft. Juristisches ist zu diesem Zeitpunkt selbstverständlich geregelt. Das ist ja common sense! Auch common sense ist es, die Performer für ihr Anbieten nicht zu bemitleiden. Sie bekommen ja was dafür. Tja, wir sind auch im Theater.

Der Abend beginnt so: Auf der Bühne stehen sie, Kalauz und Schick, in Unterhose vor uns und beginnen uns Dinge, die nummeriert auf einem Tombolatisch ausgestellt liegen, zu verschenken: „Who wants that?“ Soll man das nun frech oder grosszügig finden? Wollen die was von uns? Wollen die, dass wir diese Dinge wollen? Das Publikum weiss nicht so recht – zumindest am Anfang. Muss man da was zurückgeben, wenn man was bekommt? Oder muss man das Bekomme vielleicht am Schluss wieder abgeben (dies wäre ganz bedauerlich: was man einmal ergattert hat, tut mehr weh, wieder herzugeben als etwas gar nie zu ergattern)? Oder passiert sonst etwas? Bei diesen heutigen interaktiven Performances weiss man ja nie genau, was man als Zuschauer kriegt und vielleicht beschämendes tun muss. Solche Ängste können einem Schweizer Publikum schon mal den Hals zuschnüren. Aber nichts von all dem! Wir erhalten hier wirklich echte Geschenke! Die Nacktheit der beiden Performer, was völlige Ungefährlichkeit suggeriert, zusammen mit den Geschenken sind das beste Kommunikationsangebot um grosszügigen Mut – und das heisst: mitmachen – beim Publikum auszulösen. Denn ein Publikum, das Eintritt bezahlt und damit seine Bringschuld schon erbracht hat, kann problemlos Geschenke annehmen – im Gegensatz zu Schick, der sogar für ein gebrauchtes Taschentuch noch 50 Rappen zu zahlen sich verpflichtet fühlt, um sich nicht schuldig zu machen. Und so gibt es nach den ersten angenommen Gaben zuweilen sogar ein Gerangel um gewisse Gegenstände. Ein Raclette-Ofen zum Beispiel ist so begehrt, dass er in Einzelteile zerlegt werden muss, damit jeder was davon bekommt. Schliesslich gehört es sich, fair zu sein und es recht zu machen. Dazu gehört auch, über alles abzustimmen, Basisdemokratie als Gerechtigkeitsideal, ist auch common sense! Aber irgenwie ist doch alles nicht so abgestimmt und fair. Um die 50 Rappen für das Taschentuch zu zahlen, nimmt Schick Minikredite bei Zuschauern auf und gerät in die Kurbel des Schneeballeffekts, bis er schlussendlich die Rückzahlung der bei 20 Franken liegenden Schulden aufschreiben und vertagen muss.

Alle Gaben sind verteilt. „Does anybody have a T-Shirt?“. Welch ein Schreck: jetzt wollen die was zurück für die Geschenke! „Can I have your T-Shirt?“ Es zögert niemand, weil wohl die Geschenke doch genug zu einer Gegenleistung erpressen. Dass es anders gemeint ist, wird schnell klar: Kalauz und Schlick werden die Kleider zurückgeben und – mit einem Budget von 60 Franken – deren Miete bezahlen.

Die beiden Performer stellen während dem Abend auf verschiedenen Ebenen einen Bezug zum Publikum her, dessen Regeln jedem geläufig sind, weil sie alltäglich gut bekannt sind. Es geht um ein Beziehungsmodell, das durchzogen ist von ökonomischen und kapitalistischen Prinzipien. Allen voran: kein Geben ohne Nehmen – kein Nehmen ohne Geben! Diese Regel ist nicht nur eine des gesunden kalkulierenden Menschenverstandes, sondern selbst schon zu (schweizerischem) Anstand geworden. Und wenn Schick später in einer Diskussion mit Kalauz um Eigentum und Besitz das Argument vorbringt: wenn du Besitz akzeptierst, musst du auch Stehlen akzeptieren, so wissen wir besser: sowas ist zwar logisch, aber eben nicht common sense! Wenn jeder danach handeln würde, würde keine (ökonomische) Gesellschaft mehr funktionieren! Also vergessen wir’s wieder. Common Senes ist ein schlichter, prägnant banaler – vielleicht brachialer – Pragmatismus: Was funktioniert, ist gut. Was nicht funktioniert ist nicht gut, auch wenn es ab und an mal überzeugt. Die Stabilität dieses Denkmodells liegt im Argument, dass das, was ist, recht und gut ist, weil nur ist, was sich bewährt. Der Kapitalismus hat seine Alternativen überlebt, also ist er gut. Das man damit nicht weiter kommt, ergibt sich von selbst. Ein sehens- und bedenkenswerter Abend und ein kritisches Stück, dass in seiner politischen Relevanz kaum zu unterschätzen ist! Solche Theaterabende wünscht man sich öfters zu erleben!

Maja Tschumi