Montag, 9. Mai 2011

Billinger & Schulz: ROMANTIC AFTERNOON*






Zum Küssen braucht es zwei
oder auch nicht, man kann auch in die Luft küssen und sich dabei zuschauen. Küssen sich zwei in der Öffentlichkeit, wird oft weggeschaut. Theater erzeugt Situationen, in denen hingeschaut wird. Man nehme also Küsse und Theater und schon schaut hin, auch wer sonst wegschaut.




Küssen Sie kreativ?
Romantic Afternoon* wird Sie auf neue Ideen bringen. Jung Yun Bae, Ludvig Daae, Tümay Kilinçel, Robert Redmer, Juli Reinartz und Uri Turkenich zeigen angeleitet von Verena Billinger und Sebastian Schulz durchchoreographierte Kussakrobatik vom Feinsten.




Sommernachtstraum ohne Shakespeare und Zauberblume
Sechs ineinandergeschlungene küssende Menschen rollen als Knutsch-Knäuel über die Bühne. Jeder küsst jeden. Man findet sich, küsst sich und wird durch Schultertippen von jemandem abgelöst. Küsse austauschen, Partner austauschen, doch ganz ohne Eifersucht und Verwirrungen. Wenn etwas verwirrt ist, dann eine substituierte Kuss-Norm: nur zu zweit, meistens immer denselben und zum Zeichen der Auserwählung unter anderen.




Geräusch ist Kulisse
Die beim Küssen erzeugten Geräusche sind lange die einzige Umrahmung der Kuss-Performance. Erwartungsvolles Atmen, leises Schmatzen und das Quietschen der Gummisohlen auf dem Boden. Erst in dem Moment, als die Performer die Lippen des anderen verlassen und beginnen den ganzen Körper mit Küssen zu bedecken, verdunkelt das Licht und Purcells Dido darf ihr uraltes Leid einer unglücklichen Liebe klagen. Doch nach einem der ersten "Remember me" — gedenkt auch den traurigen Gesichtern der Liebe — verstummt sie schon wieder. Sie bleibt allein als musikalischer Stargast, ein einziger Kontrapunkt, zu der mit Küssen gefüllten Stille. Kussfremde Untermalung ist auch nicht weiter nötig. Bald wird das Küssen von Kniegepolter, verhaltenem Lachen, freudigen Schmatzern, Keuchen und Japsen zu Genüge ausgeschmückt.




Und? Wie fühlen Sie sich jetzt?
Wow, wie muss man sich fühlen nach so langem Küssen, die Romantic Afternoon*-Crew fühlt sich nach Tanzen. Selbstverständlich nicht ohne einige übermütige Küsse dazwischen. Das ist schön. Nur beim Küssen gibt es halt immer die Küsser und die anderen. Ein Universum entsteht, in dem nur die am Kuss Beteiligten zählen, die Zuschauer bleiben aussen vor. Niemand möchte nachdenken, während andere Küssen! Doch dazu ist man in der Zuschauer-Bühnenraumsituation nun mal bestimmt. Jedenfalls schwappen die Gefühle nicht von der Bühne in die Reihen der Zuschauer über. Küssende möchte man nicht stören, deshalb liegt Wegschauen in der Öffentlichkeit manchmal gar nicht so fern.







Christina










Aufführung vom 07.05.2011 im Theaterhaus Gessnerallee Zürich


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen