Freitag, 6. Mai 2011

Laura Kalauz/Martin Schick: CMMN SNS PRJCT

Zum ersten, zum zweiten, zum dritten: Performance verkauft!

Das intelligente und freche CMMN SNS PRJCT (CoMMoN SeNSe PRoJeCT) von Laura Kalauz und Martin Schick, das für das Freischwimmerfestival entwickelt wurde, thematisiert alltägliche, ökonomische Kommunikations- und Beziehungsmodelle, die auf einer uns allen mehr oder weniger verinnerlichten Basis gründen, von der aus wir handeln, verhandeln, abmachen, reden, uns verständigen, diskutieren und uns einigen – auf dem, was man gemeinhin den „gesunden Menschenverstand“, „common sense“ nennt. Damit präsentieren Kalauz und Schick ein gesellschaftskritisches Stück, welches auf radikale Weise ausstellt, wie problematisch und selbstausbeuterisch diese kalkulierende Rationalität sein kann. Nicht nur zeigen sie, dass dann, wenn alles be- und verrechenbar ist, alles und jedeR zur handelbaren Ware wird, deren Wert – nach welchem Mass? – genau bemessen wird. Sondern die Art, wie sie die theatrale Situation von Zuschauern und Performern nützen, verweist auch darauf, wohin dieses Beziehungsmodell führen kann: zu zwei ungleich privilegierten Gruppen: die Gruppe der Begünstigten, hier das Publikum: nicht nur darum ist das Stück ein Hochgenuss!, und die Gruppe der nicht Begünstigten, (sich) Anbietenden, hier die Performer. Ganz in dieser Logik ist es, wenn Kalauz und Schlick auf dem Höhepunkt des Stückes auch ihr Letztes zum Verkauf hergeben: die Performance als Gesamtpaket wird versteigert und die Rechte einem Mann aus dem Publikum verkauft. Juristisches ist zu diesem Zeitpunkt selbstverständlich geregelt. Das ist ja common sense! Auch common sense ist es, die Performer für ihr Anbieten nicht zu bemitleiden. Sie bekommen ja was dafür. Tja, wir sind auch im Theater.

Der Abend beginnt so: Auf der Bühne stehen sie, Kalauz und Schick, in Unterhose vor uns und beginnen uns Dinge, die nummeriert auf einem Tombolatisch ausgestellt liegen, zu verschenken: „Who wants that?“ Soll man das nun frech oder grosszügig finden? Wollen die was von uns? Wollen die, dass wir diese Dinge wollen? Das Publikum weiss nicht so recht – zumindest am Anfang. Muss man da was zurückgeben, wenn man was bekommt? Oder muss man das Bekomme vielleicht am Schluss wieder abgeben (dies wäre ganz bedauerlich: was man einmal ergattert hat, tut mehr weh, wieder herzugeben als etwas gar nie zu ergattern)? Oder passiert sonst etwas? Bei diesen heutigen interaktiven Performances weiss man ja nie genau, was man als Zuschauer kriegt und vielleicht beschämendes tun muss. Solche Ängste können einem Schweizer Publikum schon mal den Hals zuschnüren. Aber nichts von all dem! Wir erhalten hier wirklich echte Geschenke! Die Nacktheit der beiden Performer, was völlige Ungefährlichkeit suggeriert, zusammen mit den Geschenken sind das beste Kommunikationsangebot um grosszügigen Mut – und das heisst: mitmachen – beim Publikum auszulösen. Denn ein Publikum, das Eintritt bezahlt und damit seine Bringschuld schon erbracht hat, kann problemlos Geschenke annehmen – im Gegensatz zu Schick, der sogar für ein gebrauchtes Taschentuch noch 50 Rappen zu zahlen sich verpflichtet fühlt, um sich nicht schuldig zu machen. Und so gibt es nach den ersten angenommen Gaben zuweilen sogar ein Gerangel um gewisse Gegenstände. Ein Raclette-Ofen zum Beispiel ist so begehrt, dass er in Einzelteile zerlegt werden muss, damit jeder was davon bekommt. Schliesslich gehört es sich, fair zu sein und es recht zu machen. Dazu gehört auch, über alles abzustimmen, Basisdemokratie als Gerechtigkeitsideal, ist auch common sense! Aber irgenwie ist doch alles nicht so abgestimmt und fair. Um die 50 Rappen für das Taschentuch zu zahlen, nimmt Schick Minikredite bei Zuschauern auf und gerät in die Kurbel des Schneeballeffekts, bis er schlussendlich die Rückzahlung der bei 20 Franken liegenden Schulden aufschreiben und vertagen muss.

Alle Gaben sind verteilt. „Does anybody have a T-Shirt?“. Welch ein Schreck: jetzt wollen die was zurück für die Geschenke! „Can I have your T-Shirt?“ Es zögert niemand, weil wohl die Geschenke doch genug zu einer Gegenleistung erpressen. Dass es anders gemeint ist, wird schnell klar: Kalauz und Schlick werden die Kleider zurückgeben und – mit einem Budget von 60 Franken – deren Miete bezahlen.

Die beiden Performer stellen während dem Abend auf verschiedenen Ebenen einen Bezug zum Publikum her, dessen Regeln jedem geläufig sind, weil sie alltäglich gut bekannt sind. Es geht um ein Beziehungsmodell, das durchzogen ist von ökonomischen und kapitalistischen Prinzipien. Allen voran: kein Geben ohne Nehmen – kein Nehmen ohne Geben! Diese Regel ist nicht nur eine des gesunden kalkulierenden Menschenverstandes, sondern selbst schon zu (schweizerischem) Anstand geworden. Und wenn Schick später in einer Diskussion mit Kalauz um Eigentum und Besitz das Argument vorbringt: wenn du Besitz akzeptierst, musst du auch Stehlen akzeptieren, so wissen wir besser: sowas ist zwar logisch, aber eben nicht common sense! Wenn jeder danach handeln würde, würde keine (ökonomische) Gesellschaft mehr funktionieren! Also vergessen wir’s wieder. Common Senes ist ein schlichter, prägnant banaler – vielleicht brachialer – Pragmatismus: Was funktioniert, ist gut. Was nicht funktioniert ist nicht gut, auch wenn es ab und an mal überzeugt. Die Stabilität dieses Denkmodells liegt im Argument, dass das, was ist, recht und gut ist, weil nur ist, was sich bewährt. Der Kapitalismus hat seine Alternativen überlebt, also ist er gut. Das man damit nicht weiter kommt, ergibt sich von selbst. Ein sehens- und bedenkenswerter Abend und ein kritisches Stück, dass in seiner politischen Relevanz kaum zu unterschätzen ist! Solche Theaterabende wünscht man sich öfters zu erleben!

Maja Tschumi

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